8. Oktober 2020 | Berlin

Zum Jahrestag des rechtsterroristischen Anschlags in Halle (Saale)

Morgen jährt sich der rassistische und antisemitische Anschlag in Halle (Saale), dem Jana L. und Kevin S. zum Opfer gefallen sind. Dass bei diesem versuchten Massenmord nicht noch mehr passiert ist, lag einzig und allein daran, dass der rechtsterroristische Täter die Tür der Synagoge nicht überwinden konnte. Zum Zeitpunkt des Anschlags hatten sich dort Angehörige der jüdischen Gemeinschaft versammelt, um den höchsten jüdischen Feiertag zu begehen: Yom Kippur. Es war nur eine Tür, die all die jüdischen Menschen in der Synagoge gerettet hat, denn an diesem Tag waren keine Sicherheitsbeamt*innen vor Ort.

Nach dem Anschlag wurde davon gesprochen, dass er ein Einschnitt gewesen sei, dass sich nun etwas ändern müsse, doch was hat sich getan?

In den Sicherheitsbehörden hat sich immer noch nicht genug getan.

Die Zäsur, von der gesprochen wurde, hat keine grundlegenden Verbesserungen bewirkt. Die Arbeitsweisen bedürfen weiterer Verbesserungen und auch der analytische Blick in die eigenen Reihen wird vom Innenminister weiterhin verwehrt. Das Ausmaß der rechtsextremistischen Umtriebe Angehöriger in deutschen Sicherheitsbehörden auf Bundes- und Landesebene bleibt weiterhin im Dunkeln, obwohl uns mittlerweile fast täglich Meldungen dazu erreichen.

Wie soll jüdisches Leben in Deutschland besser geschützt werden, wenn das Innenministerium nicht mal zulässt ein verlässliches Lagebild in den eigenen Reihen zu zeichnen, um strukturelle Probleme zu erkennen und die notwendigen Maßnahmen zu ergreifen?

Und wie sieht es in unserer Gesellschaft aus?

Auch hier ist ein strukturelles Problem nicht mehr zu leugnen. Antisemitische Ressentiments und rassistische Hetze – auch aus der Mitte der Gesellschaft – nehmen zu.

Aus inneren Überzeugungen werden Witze, aus Witzen werden Beleidigungen, aus Beleidigungen werden Taten und aus Taten wird Terror.

Deswegen liegt es an uns in der Mehrheitsgesellschaft, dass wir unsere Überzeugungen hinterfragen und betroffenen Menschen zuhören. Dass wir uns bei Familienfeiern, im Kollegium und im Freund*innen und Bekanntenkreis gegen rassistische und antisemitische Witze aussprechen und uns deutlich positionieren.

Als freiheitlich-demokratische Gesellschaft müssen wir uns viel mehr anstrengen, um uns den Gefahren entgegenzustellen. Das gilt im Großen: die Ausrichtung der Sicherheitsbehörden reformieren und das Ausmaß rechtsextremer Ideologien erkennen und rigoros dagegen vorgehen. Und das gilt im Kleinen: zuhören, eigene Einstellungen hinterfragen und sich antisemitischen, rassistischen und rechtsextremen Äußerungen entgegenstellen.

Wir haben mit dem NSU-Komplex, dem Anschlag in Hanau, dem Mord an Walter Lübcke, dem NSU 2.0, den rechtsextremen Chatrooms von Polizist*innen, dem Anschlag in Halle (Saale) und nicht zuletzt mit dem antisemitischen Angriff auf einen jüdischen Mann vor einer Synagoge in Hamburg Anfang der Woche schon viel zu oft von „Zäsuren“ gesprochen, wir müssen jetzt was tun. Es gibt keine Ausreden mehr!